Eine neue Studie, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Nature, hat eine überraschende Entdeckung gemacht: Die Impfung gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) könnte nicht nur vor der schmerzhaften Viruserkrankung schützen – sie scheint auch das Risiko für Demenz deutlich zu senken. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Wissenschaftlern der Stanford University und der Universität Heidelberg hat dies durch ein natürliches Experiment in Wales herausgefunden.
Hintergrund: Herpesviren und Demenz
Bereits seit längerem wird vermutet, dass bestimmte Herpesviren eine Rolle bei der Entstehung von Demenz – insbesondere Alzheimer – spielen könnten. Herpes Zoster, das durch das gleiche Virus wie Windpocken verursacht wird, bleibt nach einer Erkrankung im Körper und kann später wieder aktiv werden. Da Impfstoffe auch weitreichende Auswirkungen auf das Immunsystem haben können, wurde untersucht, ob die Gürtelrose-Impfung auch gegen andere Erkrankungen wie Demenz schützen könnte.
Das natürliche Experiment in Wales
Die Forscher nutzten eine Besonderheit im Impfprogramm von Wales: Dort war seit dem 1. September 2013 die Impfung gegen Herpes Zoster nur für Menschen zugelassen, die am oder nach dem 2. September 1933 geboren wurden. Dieses exakte Geburtsdatum diente als Zufallsfaktor. Wer zum Beispiel am 1. September geboren wurde, bekam keine Einladung zur Impfung – wer am 2. September Geburtstag hatte, schon. Dadurch konnten Gruppen miteinander verglichen werden, die sich praktisch nur durch wenige Tage Altersunterschied und die Impfchance unterschieden.
Die Ergebnisse: Deutlicher Rückgang bei Demenzfällen
Dank dieser quasi-zufälligen Gruppeneinteilung konnten die Wissenschaftler zeigen: Personen, die durch ihr Geburtsdatum zur Impfung berechtigt waren, erkrankten seltener an Demenz. Genauer: Die Wahrscheinlichkeit einer Demenzdiagnose innerhalb von sieben Jahren sank bei geimpften Personen um 20 Prozent. Dies entspricht einer absoluten Reduktion von 3,5 Prozentpunkten. Besonders stark war der Effekt bei Frauen.
Die Studie bestätigte auch den bekannten Nutzen der Impfung gegen Gürtelrose selbst: Die Zahl der Erkrankungen sank bei Geimpften um etwa 37 Prozent.
Warum schützt die Impfung vor Demenz?
Die Forscher diskutieren zwei mögliche Erklärungen:
- Weniger Reaktivierungen des Virus: Die Impfung verhindert nicht nur die sichtbare Gürtelrose, sondern vermutlich auch stille, subklinische Reaktivierungen des Virus im Nervensystem – und diese könnten Hirnstrukturen schädigen.
- Immunologische Nebeneffekte: Besonders bei Lebendimpfstoffen wie dem hier verwendeten Zostavax sind sogenannte „off-target“-Effekte bekannt – das heißt, das Immunsystem wird insgesamt gestärkt, was auch andere Krankheiten beeinflussen kann. Solche Effekte treten oft stärker bei Frauen auf – was mit den Studienergebnissen übereinstimmt.
Starke Methode – aber keine letzte Gewissheit
Die besondere Stärke der Studie liegt in ihrem „natürlichen Experiment“ – also einer realen, aber quasi-randomisierten Situation, die Kausalität nahelegt. Die Forscher prüften zahlreiche mögliche Störfaktoren, fanden aber keine Hinweise darauf, dass andere Unterschiede (z. B. Gesundheit, Bildung oder medizinisches Verhalten) die Ergebnisse erklären könnten.
Trotzdem betonen die Autoren, dass weitere Studien nötig sind – etwa in anderen Ländern, mit anderen Impfstoffen (z. B. Shingrix) oder über längere Zeiträume. Auch der Einfluss auf verschiedene Demenzformen (Alzheimer, vaskuläre Demenz usw.) ist noch nicht im Detail geklärt.
Fazit: Neue Perspektive für die Demenzprävention?
Diese Ergebnisse könnten große Bedeutung haben: Die Gürtelrose-Impfung ist bereits für ältere Menschen empfohlen – wenn sie auch vor Demenz schützt, hätte sie gleich doppelt Nutzen. Angesichts der enormen gesellschaftlichen Belastung durch Demenz und des bislang begrenzten Erfolgs medikamentöser Therapien ist das ein vielversprechender neuer Ansatz.
Literatur:
Markus Eyting†, Min Xie†, Felix Michalik, Simon Heß, Seunghun Chung, Pascal Geldsetzer: „A natural experiment on the effect of herpes zoster vaccination on dementia“, Nature, DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-025-08800-x
† These authors contributed equally.