„Ich schäme mich so.“ Drei Ansätze für den Umgang mit Demenz und Scham

Das Gefühl, Scham zu empfinden, uns für irgendetwas oder irgendjemanden zu schämen, haben wir alle schon viele Male erlebt. Es ist eine ureigene menschliche Emotion, die – davon geht die Psychologie zumindest aus – entweder angeboren ist oder aber in frühester Kindheit erlernt wird.

Was genau ist dieses Gefühl? Wann taucht es auf und wie gehen wir mit ihm um?  Auf Fragen wie diese gibt es die unterschiedlichsten Antworten, jeder Mensch hat mit Scham seine ganz individuellen Erfahrungen gemacht. Auch die Recherche nach einer einheitlichen, eher wissenschaftlichen Definition bringt uns erstmal kaum weiter, so verschieden sind die Betrachtungswinkel und Lebensbereiche sowie die Lebensbereiche, in denen Scham auftreten kann. Aus diesem Grund habe ich nach einer Definition des Begriffs gesucht, die sich gut auf jene Lebenssituation anwenden lässt, mit der ich in meinem beruflichen Alltag täglich konfrontiert werde: dem Leben mit Demenz.

In der Begleitung und Beratung von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen höre ich immer wieder von erlebten Momenten, die ich intuitiv als schambesetzt bezeichnen würde – auch wenn sie von jenen, die davon berichten, in der Regel nicht so explizit benannt werden.  Und doch ist es das, was das Lexikon der Psychologie meiner Meinung nach treffend beschreibt als Unlustgefühl bzw. Emotion, die sich auf eine Diskrepanz zwischen idealem und realem Selbst zurückführen lässt.[1]  Mit fortschreitender Erkrankung kommt es vermehrt zu Situationen, in denen das Verhalten des Betroffenen, also des Menschen mit Demenz, auch in der Öffentlichkeit so sehr vom erwünschten Verhalten, von den geltenden sozialen Normen abweicht, dass es von der ihn  begleitenden, meist nahestehenden Person als „peinlich“, schambesetzt und kaum aushaltbar empfunden wird. Aus der Sicht des Scham empfindenden Menschen ist es nicht das eigene, sondern das auf die erkrankte Person erweiterte Selbst, das auffällt – und wegen dessen man manchmal am liebsten im Erdboden versinken will.

Drei Beispiele dieser Scham möchte ich vorstellen – und auch Ideen, wie damit umgegangen werden kann. Dafür stellen wir uns zunächst das Paar Herbert und Moni vor. Beide sind Ende 70 und seit 50 Jahren verheiratet. Ihr Leben war immer von gegenseitiger Fürsorge geprägt, die drei Kinder sind längst aus dem Haus. Geblieben ist ein Sinn für Ordnung und Sauberkeit – zumindest bei Moni. Denn Herbert ist seit einigen Jahren an Demenz erkrankt und seitdem ist, zumindest aus Monis Sicht, viel Unordnung in ihrem Leben und kaum noch etwas ist so, wie es mal war. So trägt Herbert neuerdings sein Hemd auch dann, wenn es fleckig ist, und Moni kann ihn nicht dazu bringen, ein sauberes anzuziehen, auch wenn sie gemeinsam spazieren gehen. Jetzt waren sie seit Jahren mal wieder in ihrem Lieblingslokal, und Herbert ist von Tisch zu Tisch gelaufen, wurde laut und emotional, als andere Gäste ihn nicht von ihren Speisen probieren lassen wollten. Und schließlich hat Moni manchmal ihre Freundinnen zu Besuch. Aber wie soll sie mit denen Kaffee trinken, wenn Herbert genau gegenüber des Esszimmers geräuschvoll die Toilette benutzt, bei offener Tür?

Diese drei Beispiele aus dem Alltag des Paares sind alle schambesetzt – wobei im Folgenden Monis Scham im Mittelpunkt stehen soll. Vielleicht empfindet es Herbert ähnlich? Das weiß ich nicht. Ich konzentriere mich auf Monis Erleben und möchte aufzeigen, dass der Umgang mit den drei genannten Situationen ganz unterschiedlich erfolgen kann und auch sollte – auch was diese Situationen voneinander unterscheidet.

[1] Lexikon der Psychologie von Gerd Wenniger, zitiert nach: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/ (Abruf 19.7.2023)

 

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