Forschung zum Thema Demenz im Allgemeinen und zu Alzheimer im Speziellen findet in vielen Ländern und mit unterschiedlichen Zielen statt. Wir sind überzeugt, dass Demenz ein globales Problem ist, weshalb eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn Wissenschaftler global zusammenarbeiten. Um eine Krankheit wirkungsvoll behandeln zu können, müssen zunächst die zugrunde liegenden Mechanismen detailliert verstanden werden.
Die Grundlagenforschung ist die Basis für einen solchen Erkenntnisgewinn. Sie findet in Laboren statt.
Aufbauend auf ihren Ergebnissen entstehen daraus Anwendungen, innovative Technologien und neue Ansätze für die Entwicklung von Medikamenten und Diagnostika.
Die klinische Forschung untersucht dagegen die Eignung neuer Diagnostika und die Wirksamkeit von verschiedenen Therapien: Medikamente oder nicht-medikamentöse Ansätze.
Die Versorgungsforschung interessiert sich für die Wirksamkeit von Therapien unter Alltagsbedingungen und fragt zusätzlich, wie die Versorgung konkret verbessert werden kann. Für Menschen mit Demenz geht die Versorgungsforschung der Frage nach, wie die Lebensqualität verbessert werden kann oder welche Unterstützung deren Angehörige benötigen.
- Die ersten Veränderungen im Gehirn treten schon 20 Jahre vor dem Beginn der Symptome auf.
- Natürlich vorkommende Eiweißverklumpungen schädigen die Nervenzellen im Gehirn und führen zu Entzündungsreaktionen.
- Schließlich sterben Nervenzellen im Gehirn ab, so dass bestimmte Bereiche im Gehirn schrumpfen und es zur typischen Vergesslichkeit kommt.
- Bisher waren vor allem die Symptome, aber kaum die Ursachen der Alzheimer Krankheit behandelbar.
- Zahlreiche neue Medikamente, die die Ursachen bekämpfen, werden derzeit entwickelt.
- Eines dieser Medikamente, Lecanemab/Leqembi, kann eine der Eiweißverklumpungen im Gehirn beseitigen und den Verlauf der Erkrankung verlangsamen, aber nicht stoppen. Dies ist ein Durchbruch für die Alzheimer Behandlung.
- Leqembi wurde im Januar 2023 zur Behandlung der Ursachen der Alzheimer Krankheit in den USA zugelassen. Eine Zulassung in Europa wird im Laufe des Jahres 2023 erwartet.
- Da Leqembi auch Nebenwirkungen verursachen kann (vereinzelt Schwellungen oder Blutungen im Gehirn), wird es nicht für jeden Patienten geeignet sein.
- Leqembi und ähnliche Medikamente wirken voraussichtlich am besten, wenn sie ganz früh nach Auftreten der Alzheimer Symptome oder sogar schon vorbeugend eingesetzt werden.
Bei der Alzheimer Krankheit treten drei wesentliche Änderungen im Gehirn auf. Das Gehirn schrumpft, weil Nervenzellen absterben, und es treten zwei für die Krankheit typische Eiweißverklumpungen auch, die sogenannten Amyloid Plaques und die Tau-Fibrillenbündel. Diese Veränderungen werden durch mehrere molekulare Prozesse im Gehirn bewirkt, die sich über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren erstrecken, bevor schließlich die ersten Symptome der Alzheimer Krankheit auftreten, insbesondere die Vergesslichkeit. Am Beginn der molekularen Prozesse steht die Bildung eines Eiweiß-Bruchstücks, das Amyloid oder A genannt wird und durch zwei molekulare Scheren (sogenannte Sekretasen) aus einem noch größeren Eiweiß herausgeschnitten wird. A wird im menschlichen Körper ganz normal gebildet und ist nicht schädlich, weil es durch die zelluläre Müllabfuhr im Gehirn rasch beseitigt wird. Wenn wir älter werden, funktioniert die zelluläre Müllabfuhr oft nicht mehr so effizient, so dass die Menge an A im Gehirn ansteigt. Als Folge davon kann A Verklumpungen bilden, die wiederum Nervenzellen schädigen und dazu führen, dass auch das Tau Eiweiß Verklumpungen bildet. Im Laufe der Krankheitsentwicklung werden beide Verklumpungen immer größer, was zur Ausbildung der Amyloid Plaques und der Tau-Fibrillenbündel führt. Die initial kleinen Verklumpungen schädigen die Nervenzellen im Gehirn immer weiter, so dass es zu Entzündungsreaktionen und schließlich dem Absterben von Nervenzellen im Gehirn kommt. Neben den Nervenzellen spielen die Immunzellen des Gehirns, die sogenannten Microglia-Zellen, eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Alzheimer Krankheit. Wenn in bestimmten Bereichen des Gehirns ein größerer Teil der Nervenzellen geschädigt oder abgestorben ist, kommt es zum Auftreten der Alzheimer Symptome. Der hier geschilderte Ablauf der Krankheitsentstehung ist sehr gut durch experimentelle Daten belegt, unter anderem durch bildgebende Aufnahmen des Gehirns, durch Untersuchung der Hirnflüssigkeit und durch genetische Mutationen, die bei wenigen Menschen zu einer vererbten Form der Alzheimer Krankheit führen oder aber die Krankheit komplett verhindern.
Abbildung 1: Entstehung der Alzheimer Krankheit
Wann gibt es Medikamente gegen die Ursachen der Alzheimer Krankheit?
Bisher konnten nur die Symptome der Alzheimer Krankheit, aber noch nicht die Ursachen behandelt werden. Dies hat sich Anfang 2023 deutlich geändert, als die Immuntherapie mit dem Antikörper Lecanemab (auch Leqembi genannt) in den USA zugelassen wurde. Eine Zulassung in Europa wird 2023 ebenfalls erwartet. Diese Immuntherapie ist eine Art passive Impfung, bei der Antikörper gegen A per Infusion verabreicht werden und dafür sorgen, dass A effizient von der zellulären Müllabfuhr beseitigt wird. Wenn es Alzheimer Patienten gegeben wird, wird dieses Medikament die Krankheit zwar nicht stoppen, aber den Verlauf verlangsamen, was für die Betroffenen ein großer Fortschritt ist, weil sie z.B. länger arbeiten oder alleine für sich sorgen können. Wie viele andere Medikamente, hat auch Leqembi Nebenwirkungen und kann vereinzelt zu einer Schwellung oder sogar Blutung im Gehirn führen, die aber meistens gut behandelbar ist und wieder abklingt. Dennoch muss die Verabreichung von Leqembi genau überwacht werden und ist nicht für jeden Patienten geeignet. Da Leqembi in die frühen Schritte der Kaskade in Abbildung 1 eingreift, wird Leqembi besonders gut wirken in einer frühen Phase der Krankheit, aber nicht mehr, wenn die Krankheit schon weit vorangeschritten ist. Möglicherweise kann dieses Medikament den Ausbruch der Krankheit sogar komplett verhindern, wenn es bereits vorbeugend verabreicht wird. Das wird in klinischen Studien geprüft. Bei der langen Phase der Krankheitsentwicklung (ca. 25 Jahre) wäre es besonders sinnvoll, frühzeitig, d.h. noch vor Beginn der Symptome, die Krankheitsentwicklung vorbeugend zu stoppen und damit die Alzheimer Krankheit zu verhindern. Für eine Vorbeugung bietet es sich an, die Bildung von A oder seine Verklumpung zu verhindern. Dies wird mit mehreren Medikamenten getestet. Ein Ansatz ist es, mit Medikamenten die obere der beiden Scheren (-Sekretase) zu blockieren und damit die Bildung von A zu verhindern. Da diese Medikamente die allererste Ursache der Alzheimer Krankheit bekämpfen, sind sie nicht mehr wirksam, sobald die Symptome der Alzheimer Krankheit auftreten, sondern müssen gezielt zur Vorbeugung eingesetzt werden. Neue Studien zur Vorbeugung sind geplant. Dabei ist es eine große Hilfe, dass mit bestimmten Hirnuntersuchungen bereits heute relativ gut vorhergesagt werden kann, wer in ein paar Jahren wahrscheinlich an der Alzheimer Krankheit erkranken wird und damit für eine vorbeugende Behandlung besonders gut geeignet ist. Um die Alzheimer Krankheit effizient zu behandeln, nachdem sie bereits ausgebrochen ist, ist es wichtig, später in der Abfolge der einzelnen Krankheitsschritte in Abbildung 1 einzugreifen. Hier werden derzeit Medikamente entwickelt, die z.B. die Tau Verklumpungen verhindern oder entfernen oder die ungewollten Entzündungsreaktionen im Gehirn unterdrücken. Bis solche Medikamente zugelassen werden, wird es jedoch noch mehrere Jahre dauern.
Das Gehirn ist ein ungeheuer komplexes Organ, und entsprechend komplex sind auch Krankheiten wie Alzheimer und andere Formen von Demenz, bei denen Nervenzellen geschädigt und zerstört werden – und das bislang irreversibel. Am DZNE geht man den komplexen Krankheiten des Gehirns – wie Alzheimer oder andere Formen von Demenz – mit modernsten Forschungsmethoden auf den Grund. Die Journalistin Sabine Heinrich stellt international führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit September 2020 jeden Monat im Wissenspodcast des DZNE Fragen zum Stand der Forschung. Im Mittelpunkt der ersten Folge steht die Versorgungsforschung. Gesprächspartner ist Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann von der Uni Greifswald.
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