Die 22. Eibsee-Tagung

Annette d’Alfonso, Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy)

Fotografin: Annette d’Alfonso, Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy)

Die 22. Eibsee-Tagung: Ein Meilenstein in der Neurodegenerationsforschung

Eingebettet in die ruhigen Gewässer des Eibsees in Grainau, Deutschland, und überragt von der Zugspitze, dem höchsten Berg des Landes, ist das Eibsee Meeting eine einzigartige Konferenz, die wissenschaftliche Strenge mit der Ruhe der Natur verbindet. Seit mehr als zwei Jahrzehnten zieht sie Neurowissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt an, die hier Inspiration und wissenschaftliche Zusammenarbeit suchen. Die diesjährige Konferenz zeichnete sich nicht nur durch hochkarätige Redner und Themen aus, sondern markierte auch einen bedeutenden Wechsel. Prof. Christian Haass, die treibende Kraft hinter der Konferenz, war zum letzten Mal als Hauptorganisator zu Gast. Obwohl er die Leitung abgibt, wird Prof. Haass sein Engagement an der Seite des neuen Organisators, Prof. Jonas Neher, fortsetzen und den Geist und die Exzellenz dieser Konferenz beibehalten.

Das Eibsee Meeting zeichnet sich in der wissenschaftlichen Gemeinschaft durch sein interaktives und unkonventionelles Format aus, das mit einem „Scientific Walk“ rund um den See beginnt. Die Teilnehmer tauschen in zwangloser Atmosphäre Ideen und Erkenntnisse aus, wobei die umgebende alpine Landschaft eine Atmosphäre des offenen Dialogs fördert. Die dreitägige Veranstaltung besteht aus einer Reihe von Hauptvorträgen, spannenden Präsentationen von Nachwuchswissenschaftlern und ausführlichen Diskussionen über aktuelle Themen der Neurodegeneration.

Erforschung der kognitiven Gesundheit bei Hundertjährigen: Der Eröffnungsvortrag von Dr. Henne Holstege

Die Konferenz wurde mit einem aufschlussreichen Vortrag von Dr. Henne Holstege vom Amsterdam University Medical Center eröffnet. Ihre Arbeit befasst sich mit einer faszinierenden Frage: Wie können bestimmte Menschen ein Alter von 100 Jahren und darüber hinaus erreichen und dabei ihre kognitive Gesundheit erhalten, ohne an Demenz oder Alzheimer zu erkranken? Dr. Holstege berichtete über die Ergebnisse ihrer bahnbrechenden „100-plus-Studie“, welche die Genetik und die Gehirngesundheit von Hundertjährigen untersucht, die eine Demenz vermieden haben. Die Forschungs-ergebnisse ihres Teams deuten darauf hin, dass diese Personen bestimmte genetische Variationen aufweisen, wie z. B. eine geringere Häufigkeit des APOE4-Gens, das mit Alzheimer in Verbindung gebracht wird, und eine höhere Häufigkeit des APOE2-Gens, einer Variante, die vor kognitivem Abbau zu schützen scheint.

Vielleicht noch überzeugender war ihre Beobachtung, dass die Hundertjährigen in ihrer Studie eine bemerkenswert geringe Anhäufung von Proteinen aufwiesen, die üblicherweise mit neurodegenerativen Krankheiten in Verbindung gebracht werden, wie Tau, TDP-43 und Beta-Amyloid. Diese Proteine, die im Gehirn Aggregate oder Klumpen bilden können, tragen bekanntermaßen zur Alzheimer-Krankheit und anderen Formen der Demenz bei, wenn sie sich übermäßig ansammeln. Dr. Holsteges Arbeit könnte dazu beitragen, die zugrundeliegenden Mechanismen zu identifizieren, die es manchen Menschen ermöglichen, „resistent“ gegen Demenz zu bleiben – eine Entdeckung, die vielversprechend für die Entwicklung präventiver Behandlungen für neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer und Frontotemporale Demenz (FTD) ist.

Ein besonderer Schwerpunkt auf Prionen und Neurodegeneration

Einer der Höhepunkte der diesjährigen Eibsee-Tagung war eine Sondersitzung über Prionen, die sich mit der rätselhaften Rolle dieser fehlgefalteten Proteine bei neurodegenerativen Erkrankungen befasste. Dr. John Collinge vom University College London präsentierte Ergebnisse, die unser Verständnis der Beziehung zwischen Prionen und der Alzheimer-Krankheit (AD) erweitern und die Frage aufwerfen, ob die Alzheimer-Pathologie in einigen Fällen übertragbar sein könnte.

Dr. Collinge erläuterte zunächst eine Reihe von Experimenten mit Seidenaffen – kleinen Primaten, denen menschliches Hirngewebe injiziert wurde, das Beta-Amyloid-Ablagerungen, ein Kennzeichen der Alzheimer-Krankheit, enthält. Obwohl die Seidenaffen keine kognitiven Beeinträchtigungen oder Demenzsymptome zeigten, wiesen ihre Gehirne eine erhebliche Anhäufung von Beta-Amyloid auf, was darauf hindeutet, dass die Amyloid-Ablagerungen von außen zugeführt werden könnten. Dies führt zu der Frage: Ist die Alzheimer-Pathologie unter bestimmten Bedingungen übertragbar?

Dr. Collinge verwies auch auf Fälle, in denen in den 1980er Jahren menschliche Wachstumshormone verabreicht wurden, von denen einige aus menschlichen Hypophysen stammten, die mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) infiziert waren – einer neurodegenerativen Krankheit, die bekanntermaßen durch Prionen übertragbar ist. Alarmierenderweise wurden bei Autopsien von Patienten, welche diese kontaminierten Behandlungen erhalten hatten, Alzheimer-ähnliche Amyloid-Ablagerungen festgestellt, was auf ähnliche Übertragungswege bei Alzheimer schließen lässt.

Diese Ergebnisse werfen erhebliche ethische und medizinische Fragen zu Übertragungsrisiken im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit auf, etwa durch Bluttransfusionen oder andere medizinische Eingriffe. Die Arbeit von Dr. Collinge ist zwar noch spekulativ, unterstreicht aber die Komplexität neurodegenerativer Erkrankungen und die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen darüber, wie prionenähnliche Mechanismen bei ihrem Fortschreiten eine Rolle spielen können.

Preis für die beste Arbeit

Die Hans und Ilse Breuer Stiftung verlieh den „Publikationspreis 2024“ an Stefanie Heumüller für ihre bahnbrechende Studie „Reactivated Endogenous Retroviruses Promote Protein Aggregate Spreading“. Der Preis wird bereits zum vierten Mal verliehen. Heumüllers Forschung deckt einen Zusammenhang zwischen reaktivierten endogenen Retroviren (ERVs) und dem Fortschreiten neurodegenerativer Krankheiten

wie der Alzheimer-Krankheit. ERVs, die normalerweise ruhende Überbleibsel alter Virusinfektionen sind, werden unter diesen Bedingungen reaktiviert und tragen durch prionenähnliche Mechanismen zur Verbreitung von Proteinaggregaten wie Tau bei. Ihr Team wies nach, dass virale Hüllproteine die Übertragung von Zelle zu Zelle und die Aufnahme toxischer Aggregate erleichtern, wobei extrazelluläre Vesikel als Träger fungieren und das Fortschreiten der Krankheit weiter beschleunigen.

Die Studie deutet darauf hin, dass antivirale Therapien, die auf ERVs abzielen, die Fehlfaltung von Proteinen verlangsamen könnten und damit eine vielversprechende neue Strategie zur Bekämpfung des Fortschreitens der Alzheimer-Krankheit und verwandter Erkrankungen darstellen.

Nochmals herzlichen Glückwunsch an Stefanie für ihre herausragende Arbeit und ein großes Dankeschön an die Hans und Ilse Breuer Stiftung, SyNergy und das DZNE für ihre unschätzbare Unterstützung, die diese Konferenz ermöglicht hat.

Ein herzlicher Abschied und aufschlussreiche Überlegungen

Die Tagung endete mit einem tief bewegenden Abschiedsvortrag von Prof. Bart de Strooper von der VIB-KU Leuven, Belgien. Neben der Erörterung seiner neuesten Forschungsarbeiten zur Alzheimer-Krankheit erzählte Prof. de Strooper Anekdoten aus seiner Laufbahn und reflektierte über seine freundschaftliche, aber auch konkurrierende Beziehung zu Prof. Christian Haass. Diese Rivalität, so erklärte er, trieb sie beide dazu an, die Grenzen der neurodegenerativen Forschung zu erweitern, was letztendlich dem gesamten Gebiet zugutekam.

Prof. de Stroopers Forschung konzentriert sich auf das Verständnis des Übergangs von der Bildung von Amyloid-Plaques – einem Schlüsselmerkmal der Alzheimer-Pathologie – zur zellulären Dysfunktion im Gehirn. Amyloid-Plaques werden seit langem mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht, aber neuere Studien deuten darauf hin, dass der wahre Schaden darin liegt, wie diese Plaques die zelluläre Kommunikation und Funktion stören. Dieser Perspektivwechsel ist für die Alzheimer-Forschung von großer Bedeutung, da die Wissenschaftler von der bloßen Bekämpfung der Amyloid-Plaques zum Verständnis ihrer umfassenderen Auswirkungen auf die zelluläre Gesundheit und die Gehirnfunktion übergehen.

Das Vermächtnis des Eibsee-Meetings

Auch wenn sich das Eibsee Meeting unter der Leitung von Prof. Neher weiterentwickelt, bleibt die Konferenz in der Vision von Prof. Haass verwurzelt, der sie als Forum für einen offenen wissenschaftlichen Austausch ins Leben rief. Die jährliche Veranstaltung zieht nach wie vor hochkarätige Neurowissenschaftler und Kliniker an und fördert ein Umfeld, in dem der Wissensaustausch über die traditionellen Konferenznormen hinausgeht. Jedes Jahr haben neue Generationen von Forschern die Möglichkeit, ihre Arbeit einem weltweiten Publikum zu präsentieren und so die Kluft zwischen dem etablierten Wissen und den neuen Ideen zu überbrücken.

Die diesjährige Eibsee-Tagung unterstrich nicht nur die Fortschritte beim Verständnis der molekularen und genetischen Grundlagen der Alzheimer-Krankheit und anderer neurodegenerativer Erkrankungen, sondern auch das unermüdliche Engagement der Wissenschaftler bei der Enträtselung dieser Geheimnisse. Die Themen kognitive Widerstandsfähigkeit im Alter, die faszinierende Rolle von Prionen und die tiefgreifenden Auswirkungen von wissenschaftlicher Kameradschaft und Wettbewerb spiegeln das kollektive Engagement wider, unser Verständnis der Neurodegeneration voranzutreiben. Auch in Zukunft wird das Eibsee Meeting ein Beweis für die Bedeutung der Zusammenarbeit, die Neugierde, die wissenschaftliche Entdeckungen antreibt, und die Hoffnung sein, Wege zu finden, neurodegenerative Krankheiten in Zukunft zu verhindern oder sogar zu heilen.

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