Abschlussplenum des 23. DKVF vom 11.-13.9.2024 in Potsdam

Wir sind noch voller Eindrücke, nachdenklich und angeregt von 3 Tagen spannender und inspirierender Jahrestagung – ein ganz kurzer Rückblick.

Drei Plenarsessions waren systematisch und didaktisch aufgebaut – mit gut ausgesuchten deutschen und internationalen ReferentInnen. In der ersten sprach Prof. Lauren Clack, Zürich, über die Grundlagen und Konzepte der Implementierungswissenschaft und holte uns mit Beispielen aus der Versorgung ab. Ihr Kooperationsangebot war wertschätzend und umfassend – Erfahrungen aus der Implementierungswissenschaft können uns helfen, gute Versorgungsinnovationen näher an die Routineversorgung heranzubringen. Umgekehrt freut sich die Implementierungswissenschaft über Anwendungsfälle zur Testung und Weiterentwicklung ihrer Konzepte und Frameworks. Prof. Thomas Kühlein, Erlangen, gab uns Einblicke in die Situation eines Versorgers. Klare Evidenz dafür – oder dagegen –  liegen nur für ziemlich wenige medizinische Maßnahmen vor. Die meisten Entscheidungen in der praktischen Versorgung müssen ohne klare Evidenzgrundlage – sozusagen im Graubereich – getroffen werden. Beide SprecherInnen stimmten darin überein, dass es entscheidend ist, die Kompetenzen aus Versorgungsforschung und Implementierungsforschung zu bündeln, um den Bereich der evidenzbasierten Maßnahmen zu erhöhen und auch im Graubereich wissenschaftliche Ergebnisse praxisverbessernd verfügbar zu machen.

Prof. Diana Cürlis, Münster, und Prof. Sylke Kuske, Düsseldorf, haben in der zweiten Plenarsitzung gezeigt, dass die Versorgungsforschung methodisch erweitert werden muss, um Akzeptanz bei den betroffenen Menschen zu schaffen. Diana Cürlis stellte am Beispiel der Teilhabe von Menschen mit Demenz das Social Design als Implementierungstool und -strategie vor. Silke Kuske übersetzte die Denkweise, die hinter dem Social Design steht in den konzeptionellen und methodischen Rahmen der Versorgungsforschung. Dieser Transfer ist noch einem frühen Stadium – deshalb sind ethnographische Ansätze und teilnehmende Beobachtung angemessen. In der nächsten Stufe sollten wir Social Design Ansätze in das qualitative Methodenspektrum der Versorgungsforschung aufnehmen. Die vorgestellten Beispiele werden wir aber auch ganz konkret in der Versorgungsforschung für Menschen mit Demenz nutzen.

Prof. Thekla Brunkert, Luzern (Schweiz), empfahl in der dritten Plenarsession, ein Implementation Team ganz analog zum Statistik Team frühzeitig im Studienverlauf zu konsultieren und während der gesamten Auswertung und der Entwicklung einer konkreten Transferstrategie eng einzubeziehen. Prof. Simone van Dulmen, Radboud, Nijmwegen (Niederlande)  zeigte, wie durch systematische De-Implementierung von Überversorgung der Patientennutzen gesteigert werden kann.

In den State of the Art Sessions und den Sonderformaten, haben wir Highlights der Versorgungsforschung in den Fachgesellschaften diskutiert – das hohe wissenschaftliche Niveau ebenso wie die meist unmittelbare Praxisrelevanz der Beiträge haben einmal mehr bestätigt, dass wir auch in der nächsten Jahrestagung wieder mindestens eine Session mit Best of Ergebnissen  aus unseren Mitgliederfachgesellschaften einrichten werden.

Die Zukunft der Versorgungsforschungszentren zeigt einige Konvergenz und Kooperation zwischen den vom BMBF und der DFG geschaffenen Forschungsstrukturen. Hier gibt es allerdings auch noch einiges zu tun, beispielsweise in den deutschen Zentren für Gesundheitsforschung – von denen einige mit Versorgungsforschung gerade erst beginnen. Hier kann eine Einbeziehung der bestehenden Forschungszentren und -strukturen und auch von Implementierungswissenschaft helfen, Fehler und Rückschläge zu vermeiden, die in der Vergangenheit immer wieder Barrieren verstärkt und Verzögerungen bewirkt haben.

Thema des State-of-the-Art Formats war einmal mehr die Umsetzung der Evidenz aus der Versorgungsforschung in die Routineversorgung. Nach Impulsvorträgen von Prof. Holger Pfaff, Köln und Prof. Jochen Schmtt, Dresden, wurden sich die TeilnehmerInnen rasch einig, dass komplexe Interventionen zur Erreichung von komplexen Endpunkten sich oft nicht mit klassischen randomisierten klinischen Studien untersuchen lassen. Es geht gerade in der Versorgungsforschung also darum, von der theoretisch besten zu einer praktisch besten Evidenz zu kommen.  Nach einer spannenden und fachlich tiefgreifenden Diskussion im Plenum der TeilnehmerInnen haben wir den Begriff EBMPlus als Arbeitsgruppentitel vorläufig zurückgestellt und mit großer Mehrheit beschlossen, die neue Arbeitsgruppe stattdessen „Kausale Inferenz in der der Versorgungsforschung“ zu nennen. Die Identifikation von Ursachen und die darauf basierende Entwicklung von kausalen Modellen ist besonders relevant für die erfolgreiche Implementierung von geeigneten Innovationen. Wege dahin sind neben der Evaluation bezogen auf die a priori definierten Endpunkte auch die umfassende Prozessanalyse in einem erfolgreichen Projekt.

In der Debate mit Prof. Christopher Baethge, Chefredakteur des wissenschaftlichen Teils des Deutschen Ärzteblatts, haben wir gelernt, dass etwa 30 % aller wissenschaftlichen Beiträge im DÄ aus der Versorgungsforschung stammen (hierbei sind nur Analysen auf der Basis von externen versorgungsnahen Daten gezählt) – die damit vor systematischen Reviews und klinisch-epidemiologischen Studien die Spitzenposition einnimmt. Die Annahmechancen erhöhen sich, wenn mögliche Confounder und andere Bias-Quellen adäquat behandelt werden und Stärken und Schwächen einer Studie kritisch diskutiert werden. Herr Baethge bot uns allen an, vor einer vollen Einreichung zunächst ein Abstract zu schicken, und versprach, rasch darauf zu antworten. Er wies auch noch einmal auf die weitere Möglichkeit hin, kürzere Artikel als research Letter einzureichen.

Im Science Slam war der Hörsaal wie auf den letzten Jahrestagungen voll und die vier Bewerber erreichten im Applausometer Schallwerte in der Größenordnung von über 100 dB(A) – wie unter der Einflugschneise eines Flughafens. Gut, dass die Moderatoren Prof. Juliane Köberlein-Neu und Prof. Jochen Schmitt die Dauer des Applauses auf genau 10 Sekunden beschränkten.

In der Mitgliederversammlung konnten wir drei neue Vorstandsmitglieder begrüßen: Milena von Kutzleben, Uni Oldenburg, Anna Levke Brütt, Uni Oldenburg, und Hauke Felix Wiegand, Klinik Für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München. Die neuen Vorstände folgen drei Vorständen nach, die sich nicht mehr zur Wiederwahl stellten. Prof. Lena Ansmann, Köln, wird Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie, Prof. Juliane Koeberlein, Wuppertal, wird Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Implementationswissenschaft. Prof. Karsten Dreinhöfer wird sich noch stärker für den Auf- und Ausbau der Margot Friedländer Stiftung engagieren, in deren Kuratorium er sich gemeinsam u.a. mit Dr. Joachim Gauck und Prof. Monika Grütters engagiert. Alle drei übernehmen aber auch weiterhin wichtige Aufgaben in unserem Netzwerk. Danke an alle für die geleistete und die zukünftige Arbeit für das DNVF.

Ich danke unseren Fördermitgliedern, Sponsoren und Unterstützern dieser Jahrestagung. Herausheben möchte ich in diesem Jahr das Engagement der Deutschen Krebshilfe (DKH), weil deren VertreterInnen ausnahmsweise nicht auf dem Kongress vor Ort dabei sein konnten. Grund ist das 50jährige Gründungsjubiläum der DKH, das mit der Organisation eines beeindruckenden Festprogramms verbunden ist – wir schicken herzliche Glückwünsche ! Im nächsten Jahr wird sich die DKH wieder mit einem eigenen Symposium bei uns beteiligen.

Fazit und Aufgaben. Die Versorgungsforschung wird als Forschungsthema und zunehmend auch als Fachcommunity wahrgenommen. Jetzt muss Versorgungsforschung auch Teil der Lösung der drängenden Probleme im deutschen Versorgungssystem werden. Dazu müssen wir die Partner und deren Welt, die Stakeholder im Gesundheitssystem und deren Ziele erkennen und verstehen – auch um diese dann an den richtigen Stellen zu verändern. Dabei sind ImplementierungsexpertInnen, die wir auf dieser Tagung (besser) kennen gelernt haben, natürliche Partnerinnen der Versorgungsforschung. In Projekten der Förderlinie Neue Versorgungsformen des Innovationsfonds sollen zukünftig regelhaft Implementierungsexpertinnen einbezogen werden – für diese können Projektmittel beantragt werden.

Fazit: Das war ein inhaltlich toll vorbereiteter und sehr gut organisierter Kongress. Die Räumlichkeiten am Campus Griebnitzsee der Universität Potsdam. Es gab ein sehr schönes, gelungenes Get Together. Und es gab immer Äpfel, meistens Kaffee und (selten) Kuchen.

Danke an unsere Kongresspräsidentin Juliane Koeberlein-Neu, ihr Team, Thomas Bierbaum und den KollegInnen unserer DNVF Geschäftsstelle, dem Kongressveranstalter KUKM, besonders an Frau Streitberger und ihr Team. Ich danke den PlenarsprecherInnen, Vortragenden, Posterpräsentierenden, unseren AGs und FGs, den Session ModeratorInnen, Science Slam Teilnehmerinnen, unserer Presse-Unterstützerin Frau Gebhard, und unserem Fotografen.

Weiter so!

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